Grannymania

Das schwäbisch-besinnlich-“schiller”sche Zitat eines Stuttgarter Oberbürgermeisters zur Eröffnung einer Ausstellung 1957 (1) mag heute vielleicht altmodisch daherkommen, doch trifft es immer noch den Kern und gegenwärtigen Zeitgeist: “Durch die Handarbeit soll die Frau das tun, was von ihr über die Pflichten des Bewahrens und Vermehrens der häuslichen Güter hinaus erwartet wird,
nämlich sie
füget zum Guten den Glanz und den Schimmer(2).


Häkeln gehört zu den älteren Handarbeitstechniken (siehe HISTORIE).
Frauen in allen Gesellschaftsschichten kreierten ihre Meisterstücke – sei es als gutbetuchte Dame zur Erheiterung des Gemütes und Totschlagens der Langeweile oder als arme Frau und Mutter, die den Lebensunterhalt für  die Familie damit erhäkelte. Wolle und Garne waren manchmal unerschwinglich oder schwer zu erwerben. Da lag es nahe, aus Bestand und Resten etwas zu zaubern.
Die kleinen Häkelquadrat-Motive tauchten plötzlich auf.
Heute kennen und lieben wir sie als die sogennanten “Granny Squares”.


Die erste dokumentierte Abbildung eines “Blockes” finden wir in dem Buch The Art of Crochet, publiziert von der Butterick Publishing Company, New York und London, 1891

BLOCK FOR A SLUMBER ROBE
(BLOCK FÜR EINE SCHLUMMERDECKE)

Wie alt diese Resteverwertungsmethode ist, wird uns nicht erzählt, nur, das sie für Baby- und Kinderdecken in Wiegen und Kinderwagen erfunden wurde. Farbvorschläge werden gegeben, verwendete Maschen werden nicht erklärt. Das Bild allein, soll die Technik verdeutlichen.
WOW! Eindeutig ein Granny Square!


Aber warum denn Granny Square – Großmütterchens Quadrate ???
Was für eine Geschichte steckt denn nun da genau hinter?

1946 brachte die Garn- und Tuchfabrik die Oregon Worsted Company einen Artikel heraus, der über die sparsamen und fleißigen Frauen des frühen Amerikas berichtete. Die “große Depression” (- Great Depression 1929-1941) war eine schwere Wirtschaftskrise, die viele Familien in Not geraten ließ.
Hier kamen die kleinen bunten Garnreste aus aufgeribbelten Socken und Sweatern gerade richtig.
Kleine Quadratmotive wurden gehäkelt. Farben nach Lust und Laune und Vorrat eingesetzt.
Wunderbare wärmende und schmückende Decken sollten daraus entstehen. Ganz dem Vorbild der bunten und farbenfrohen Afghan-Decken entsprechend, die im frühen 19.Jh. in England beliebt waren. All die kleinen Quadrate – die “Squares” mussten dann nur noch zusammengenäht werden…ja..nur…wer schon einmal eine Granny-Square-Decke gehäkelt hat, weiß wieviel Arbeit in Fäden- und Zusammennähen des Objektes steckt.
Diese mühevolle Arbeit durfte dann die amerikanische “Granny” – die Großmutter übernehmen, die im zunehmenden Alter nicht mehr viel körperliche Arbeit im Haus und Hof verrichten konnte.

Die “Granny Squares” wurden zur traditionellsten amerikanischen Form des Häkelns.
Lange Zeit kannte man diese Häkelart auch nur unter dem Namen “American Crochet”.
Der weltweite Siegeszug der kleinen Quadrate begann.

Kein Wunder, sie sind entspannend zu häkeln. Können farbenfroh oder einfarbig sein.
Traditionell beginnt man mit einem Luftmaschenring, in dem dann Stäbchen und Luftmaschen abwechselnd gearbeitet werden. In den Ecken werden Maschen zugenommen, damit ein Quadrat entsteht. Im Laufe der Zeit entstanden unzählige Variationen.
Jedes geometrische Motiv bildet eine geschlossene Einheit für sich, wirkt jedoch erst, wenn es mit anderen Motiven verbunden wird, nur als Teil des Ganzen. Man häkelt in Runden. Es wird nicht gewendet, neue Farben werden einfach angesetzt.

Bildquelle: ebay

So entstanden wunderbare Tücher, Decken, Kissen, Spielzeug, Kleidung, etc.

Höhepunkt der Granny Square-Ära waren auf alle Fälle die 70er. Das Beispiel-Bild linksseitig zeigt ein Dreieckstuch aus dieser Zeit. Typisch sind auch die langen beliebten Fransen an den Seiten. Sieht nach knapp 50 Jahren immer noch stylish aus!

Auch Clint Eastwood (Für den Playboy!) und Paul McCartney konnten den kleinen Quadraten/Granny Squares nicht widerstehen. Sexy nicht? 😉


Meine frühen Lieblings-Entdeckungen:

Bildquellen-Nachweise siehe unten Legende

(3) Vor vielen Jahren entdeckte ich den liebenswerten Blog der inzwischen leider viel zu früh verstorbenen Katja Rubin VERSPONNENES. Ihre Anleitungen mit Shop sind leider mit ihr fort gegangen, aber der Blog steht noch fest im Web und zeigt Spuren ihres Schaffens. Granny Squares in zarten Pastelltönen zu Kissen und feinen Kuscheldecken gearbeitet. Sie hatte ein Riesen-Fan-Gemeinde, die heute noch existiert. Superschön ihre Blüten-Beulchen…

 

(4) Grau trifft Farbe! 2010 traf Rosa P. mit ihrer Hexagon-Decke den Granny-Nerv der Zeit.  Absolutes Must-see und Must-have auf der heimischen Couch!

 

(5) Dann die finnische Künstlerin Virpi Marjaana Siira – Künstlername OmA Koppa – entführt uns in ihre eigene Granny Square-Welt mit unglaublichen Ideen. Ihr erstes deutsches Buch Moderne Granny Squares spaltete die Häkelfan-Gemeinschaft. Den einen war es zu wenig, den anderen (ich zähle mich dazu!) gefiel es. Es ist inspirierende Kunst. Gestalten und Häkeln muss man selbst: So entstand ein Granny Kissen à la Finnland und der Lieblings-Granny-Schal meines Göga vor ein paar Jahren.

 

 

 

 

 

 

(6) Auch die berühmten Mode-Designer unserer Zeit konnten und können sich dem Zauber der Granny Squares nicht entziehen. Bunte Fröhlichkeit schwappt von den Laufstegen der Welt zu uns herab und verführt uns zum Kauf.

Ganz klassisch-grannyhaft entführt uns Dolce & Gabbana.
Das kleine Jacket der neuen Kollektion für knapp 3500€ ist überall ausverkauft – sold out!

Wie schade, muß Frau sich das also selbst häkeln … dürfte nicht schwer sein, oder? Nur die Löwenkopfknöpfe sind wahrscheinlich schwer erhältlich…müßte “Mann” dann schnitzen…

Und wie findet ihr die Tasche? Die Miss Sicily Handbag. 2012 musste man dafür 3000$ hinblättern…



(7) Die amerikanische Schauspielerin Cate Blanchett liebt anscheinend Granny Squares im Style der 70er. Böse Zungen lästerten damals über den Auftritt, dass Cate Blanket (engl. Decke) dem roten Teppich Konkurrenz machen würde. Geschmackssache halt…würdet ihr das tragen wollen?

Das 2.Kleid entspringt dem Hause Dior, mit dem neuen Trend von aufgedruckten bunten Motiven auf schwarzem Seidengrund. Hinreißend!


 

 

 

 

(8) Auch Oscar de la Renta im linken Bild möchte uns mit Motiven entzücken, die leicht orientalisch daherkommen.

Der schottische Designer Christopher Kane (rechtes Bild) macht Furore mit der Symbiose von Häkelstoffen und gefärbtem Leder.

 


Die Liste ist unendlich und wird sie wahrscheinlich auch bleiben.
Über hundert Jahre…was für ein immenser Erfolg der kleinen Quadrate.

Und Du? Hast Du auch schon ein Granny Square gehäkelt?

 


 

Legende:
(1) Auszug aus Häkeln und Makramee – M.Stradal
(2) Friedrich Schiller – das Lied von der Glocke
(3) Versponnenes Katja Rubin 
(4) rosa´s grey hexagon blanket
(5) omA Koppa
(6) Bildquellen 1, 2
(7) Bildquellen 1, 2, 3
(8) Bildquellen: 1, 2

Copyright 2019 – Birgit Bidder Artländer Häkelwerkstatt – All rights reserved

 

 

 

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