History Häkeln – die große Geschichte der Häkelei

 

Von wegen…,
mal eben schnell die Geschichte des Häkelns recherchieren…
Je mehr ich mich in die historische Materie vertiefte umso umfangreicher und vielfältiger wurde sie. So wurde die Geschichtsrecherche von einem Tag zum anderen zu einer Reise um die alte Welt. Begegnungen mit alten Techniken, Materialien und fleißigen Frauen aller Gesellschaftsschichten. Frauen, die ihre Langeweile weghandarbeiteten oder Frauen, die damit den Lebensunterhalt für die Familie erwirtschafteten. Manchmal harte Zeiten, in denen man noch beim flackernden Kerzenlicht feinste Spitzen häkelte.

Vorweg gibt es einen kleinen Einblick, den ich ab und zu dann
mit einem Blog-Beitrag vertiefen werde.

Vielleicht können wir ja gemeinsam
die alte Zeit wieder ein wenig aufleben lassen.
Viel Spaß bei meinem historischen Streifzug durch die Häkelgeschichte.

 

 

Nenn es wie die Franzosen, Belgier, Italiener und Spanier CROCHET. HAKEN in Holland. HAEKLING in Norwegen und VIRKNING in Schweden. Das HÄKELN. Vom altfrz. Wort croc oder croche für die Häkelnadel stammend, ist das altnordische Wort dafür krokr.

Wo genau der Ursprung des Häkelns zu finden ist, bleibt nebulös, sehr unklar. Es hat sich über viele Kontinente und Länder schlagartig verbreitet. So soll es bei den Kopten aus Ägypten stammend verbreitet gewesen sein. Es gibt Funde aus dem 7.-9.Jh. von Nadeln mit Häkchen. Man findet bronzene Pfrieme und Knochennadeln zur Verwendung von ähnlichen Handarbeitstechniken, wie dem Nalebinding. Davon zeugen das Haarnetz von Borum Eskoj und die Frauenhaube von Skrydstrup.

)11 MAK, Sammlung Albert Figdor, Inventnr. F815, Abteilung: Metall und Wiener-Werkstätte-Archiv

Interessant fand ich den Hinweis von Frau Dr. Katharina Zwittnig in dem Werkbuch Häkeln, dass sich eine Häkelnadel aus dem 16.Jh. in einem kleinen Taschennecessaire befinden soll. Diese befindet sich heute im Wiener Museum für angewandte Kunst in der Kunstsammlung von Dr. Albert Figdor (1843-1927)
– siehe Foto links.
Ich bezweifle, dass es sich um eine Häkelnadel handelt. Der Lederköcher selbst hat eine Länge von nur 12cm, somit sind die kleinen silbernen Werkzeuge kleiner und erinnern mich eher an ein Manikür- oder Zahnpflegeset. Wer weitere Ideen oder Erkenntnisse hat, darf mir diese gerne mitteilen! B.L. Bidder

Sicherlich diente die Technik des Verflechtens eines langen Fadens anfänglich dazu Fang- und Fischnetze für die Jagd, später dann wärmende und schmückende Textilien herzustellen.

Die dänische Autorin Lis Paludan)5 nennt uns 3 interessante Theorien
1) Das Häkeln verbreitete sich aus Arabien ostwärts über Tibet und westwärts über Spanien
von wo es sich über die arabischen Handelsrouten weit in den Mediterranen Raum ausbreitete.
2) Ursprung Südamerika. Dazu geistert eine Sage im Internet herum, das es der Stamm der Karau Indianer war, die das Häkeln vom großen Geist des Wassers mit Hilfe eines Vogels gelehrt, erfunden haben sollen. Recherchiert man, stößt man jedoch nur auf die Warao-Indios des Orinoco-Delta, deren Frauen Hängematten, Textilien und Faserngefäße knüpften und flochten.
Vielleicht wurde hier zu den Initiationsritualen mit einer Hakennadel rituelle Kleidung gearbeitet.
3) Das Häkeln findet seinen Ursprung in China. Gefunden wurden gehäkelte Puppen.
Vielleicht den heutigen Amigurumis ähnlich. Leider fand ich dazu keine Bildquellen, die diese Theorien optisch aufwerten würden.

Möglicherweise, so Paludan, war das Häkeln unter einem anderen Namen bekannt. Italienische Quellen des 15.Jh. sprechen von dem „Werk oder Spitze der Nonnen“, klerikaler Damen, die kirchliche Textilien herstellten. Weitere Nachforschungen ergeben, dass sich direkt aus der chinesischen Handarbeit mit Nadeln eine besondere Form der Stickerei in der Türkei, Indien, Persien und Nordafrika entwickelte und dann das Europa im 17.Jh. erreichte. Nun stößt man auf das „Tambouring“ von dem frz. Wort tambour = Trommel. Ein Stück Musselin oder Netzstoff wird auf einem Rahmen, ähnlich dem Stickrahmen, gespannt und mit einer Tambournadel, die stark im Aussehen an unsere heutige Häkelnadel erinnert, werden Luftmaschen eingestochen, ähnlich dem Webhäkeln.

)2Tochter Anna Waldegrave rechts mit dem Tambour-Rahmen

TIPP: Die engl. Seite von Mary Corbet informiert umfassend mit einem genialen Video
über die „Tambour Embroidery“.

)3 Diderot & d´Alembert Encyclopedia

Die erste schriftliche Erwähnung der Tambour- und Häkeltechnik, bzw. Gerätschaften finden wir 1763 unter Stickerei/Brodeur in dem umfassenden Werk , Wikipedeas Urahn, von Denis Diderot und Jean Baptiste le Rond d´Alembert dem „Dictionnaire raisonné de sciences, des arts et des Métiers“

 

Es war nur ein Frage der Zeit bis der Stoff fortgelassen wurde und die Franzosen das „Häkeln in der Luft“ erfanden. Bemerkenswert, dass selbst die vom Leinengrund losgelöste Reticella-Spitze im ausgehenden 15.Jh., die durch ihre Kompliziertheit nur von gelernten Facharbeiterinnen ausgeführt werden konnte, mit der Häkelnadel nachgearbeitet wurde. Aus dieser „freien Spitze“, also vom Stoffgrund losgelöst, entstanden im 17. und 18.Jh. in Italien dann geschwungene Muster wie die Rosalienspitze.

Zu Beginn des 19.Jh. wurde die Häkeltechnik vornehmlich zum Anfertigen von Imitationen gewebter und geklöppelter Spitzen verwendet. Es war auch der Siegeszug der industriellen Garnproduktion. Garn wurde nun leicht verfügbar und billiger und da das Häkeln mehr Faden als vergleichbare Textilproduktionen braucht profitierte die Industrie von diesem Häkelsiegeszug.

Mit der irischen Häkelspitze erfuhr die Rosalienspitze ihre vollkommene Nachahmung. Französische Klosterfrauen führten um 1830 die Häkelspitze in Irland ein und retteten damit ganze Familien vor dem Hungertod. Viele Frauen konnten ihre Familien bei der großen Hungersnot in Irland von 1845-1850 als die Kartoffelernte schlecht ausfiel mit dem Anfertigen und Verkauf von Häkelspitze über Wasser halten. Geld konnte gespart werden. Rund 2 Millionen Irländer wanderten zwischen 1845-1859 nach Amerika aus, um 1900 waren es schon 4 Millionen, die ihre Fähigkeiten den spinnenden, webenden, strickenden und quiltenden amerikanischen Frauen mitbrachten.

Die besonderen Kennzeichen der Irischen Häkelspitze – oder auch als Häkelgipure bekannt – waren erhaben gearbeitete Röschen, Vierecke, Sterne, Rosetten, Blätter und natürlich das berühmte irische Kleeblatt in seinen unterschiedlichsten Variationen. Diese Losgelöstheit von jeglicher Symmetrie ist die Eigenart der irischen Häkelei. Die freigehäkelten Motive werden –  durch genähte oder gehäkelte Stege teils mit zierenden Picots –  in einem Mustergefüge miteinander verbunden. Komplizierte Spitzen werden vorab auf eine Vorzeichnung geheftet.
Früher konnte man dafür sogar eigene “Pausleinen” z.B. von DMC erwerben.
Wer sich für Spitze interessiert: Das Museum für angewandte Kunst in Wien, das MAK )9, verwahrt besonders kostbare Erzeugnisse dieser Kunst. Auch im Textilmuseum in St. Gallen/Schweiz )10  ,sind kleine Kunstwerke in Häkelgipure zu bestaunen. Laut eines alten Fachbuches bietet auch das Stift Kremsmünster in Österreich eine wahre Fundgrube für Liebhaber alter Klöppel- und Häkelspitze, die Sammlung des Paters Sebastian Mayr. Und sicherlich gibt es noch viele Textilmuseen weltweit, die Objekte dieser wunderbaren Kunst zeigen können.

)4 Lace Overcoat Irish Crochet

Von Irland aus breitete sich die Häkeltechnik schnell aus und erreichte bei der Londoner Weltausstellung 1851 einen hohen Bekanntheitsgrad.

Die ersten gedruckten Hefte mit Häkelmustern wurden von geschäftstüchtigen Frauen publiziert.
Z.B. Miss Lambert, Marie Louise Kerzmann oder die bekannte Mademoiselle Eleonore Riego de la Branchadiere, die von 1850-1868 elf kleine Heftchen publizierte (knapp 72 Bücher über die feinen Nadelarbeiten – vorwiegend Häkeln und Tatting – sollen von ihr stammen) und ein Warenhaus (a fancy Berlin warehouse) in London betrieb.
So wurde die Spitzenarbeit besonders die irische für alle Bevölkerungsschichten zugänglich.

Später gelangte die Irische Spitze nach Frankreich, wo aus ihr die „Bretonische Spitze“ entstand.
Von dort aus weiter nach Wien, wo sie sich in die sogenannte „Wiener Häkelgipüre“ weiterentwickelte.
Die “Wiener Spitze” besteht aus nur 2 Elementen, wie aufgenähte oder eingearbeitete Blüten, Blätter, Sterne und Röschen auf einem gehäkelten Grundnetz und ist somit der irischen sehr ähnlich.

So setzte sich also das Häkeln zunächst in England, in den USA und Frankreich als kostengünstiger Ersatz für geklöppelte Spitzen durch und bekam das Stigma einer „Armen-Leute-Handarbeit“. Wer sich das teure Statussymbol Spitze leisten konnte, betrachtete Häkelarbeiten mit Herablassung.

Erst mit der Hilfe von Queen Victoria änderte sich das. Nachdem ihr jemand Irische Spitze geschenkt hatte, war sie begeistert und trug sie zu ihren Kleidern und Bonnets und sorgte so für eine modische Sensation. Queen Victoria in jungen Jahren (wie Lady Diana unserer Zeit) als Fashion Ikone ihrer Zeit verhalf der Irischen Spitze zu Ansehen. Außerdem kurbelte sie die Wirtschaft damit an. 1861 nach dem Tod ihres geliebten Mannes Prinz Albert verfiel sie in tiefe Depressionen. Heute wissen wir um den therapeutischen Effekt (Häkelyoga) von Handarbeiten. Victoria begann zu häkeln. Oft stundenlang.

 

 

)6 Scarf of honour

Berühmt wurden ihre 8 Schals für britische Soldaten.
Die kuriosen „Scarfs of Honour“ gingen in die Geschichte ein.

 

 

 

 

 

 

 

)7 Schnappschuß Zeitgeschehen auf der Titanic: Kapitän Smith neben einer Spitzenverkäuferin

 

 

 

 

 

Wie lange sich die modische Kostbarkeit Irische Häkelspitze hielt, sieht man am Foto links, aufgenommen 1912 auf der Titanic. Eine Verkäuferin aus Queenstown neben dem Kapitän bietet Ihre Ware feil.

 

)8 Mrs.Browns verlorene Güter im Wert von 27887,00$ entspricht dem heutigen Wert einer halben Million Euro

Aus den Forderungen der reichsten Titanic-Überlebenden wie Charlotte Drake Martinez Cardeza oder Mollie Brown an die White Star Line zum Verlust des Gepäckes sieht man aus den Bestands-Listen wie kostbar Kleider oder Lingerie mit Spitze besetzt wurden. Ein Irish Lace Gown (eine Art Überkleid) auf der Liste von Mrs.Brown zeigt den Wert von 150$, was dem heutigen Wert von 3200 Euro entspricht.
Leider kann man die Listen nur noch kostenpflichtig einsehen.
Es gibt nur noch vereinzelte Auszüge davon.

 


 

Es gibt jedoch noch eine interessante Theorie, das das Häkeln seinen Ursprung in den schottischen Highlands nahm. Es gibt alte Stiche von strickenden Schäfern auf Stelzen. Eine andere Form setzte sich mit dem „Shepherds´s knitting“ durch.
Doch statt Stricken wird hier mit einer sehr flachen Häkelnadel gearbeitet, der „Shepherd´s Hook“, die man auch in Norwegen kennt.
Das „Pjoning“. Gehäkelt wird in Kettmaschen.
Es entstehen sehr dichte und wärmende Häkelstoffe.
Perfekt für das kalte Hochland oder kalte Gebiete, in denen die Kälte einen Hauptteil des Jahres ausmachte.

Folgende Publikationen sind im archive.org digitalisiert und als freie Quelle verfügbar. Ein wunderbarer Fundus für Liebhaber alter Schriften.
– 1847 schrieb Miss Lambert: in „My crochet sampler“
– Und auch Mlle Branchardiere benennt uns die Kettmasche als Shepherd oder Single crochet,
wogegen die Feste Masche auch als französische, die French Crochet beschrieben wird:
Knitting, Crochet and Netting published 1846
– Die erste schriftliche Überlieferung des Shepherd´s Knitting finden wir auf Seite 182 in den Memoiren einer Highland-Lady,
Elizabeth Grant of Rothiemurchus, geschrieben zwischen 1793-1830.

Heute kennen wir noch die Kettmaschen-Häkelspezifikationen „Bosnisches und Holländisches (Dutch Knitting) Häkeln“. Um den wachsenden Bedarf nach Schafswolle zu befriedigen, wurden in den sogenannten Highland Clearences, einer weiteren dunklen Geschichtsepoche Schottlands, Tausende Menschen aus den Highlands vertrieben, um Platz für Weideland zu schaffen. Viele mussten wider Willen auswandern. Viele suchten ihr Glück in Amerika, viele vielleicht auch in Europa. So nahmen sie Ihre Fähigkeiten und Kenntnisse mit und konnten so weiter gegeben werden.
So finden wir z.B. 1824 die erste gedruckte Häkelanleitung für ein Täschchen in dem niederländischen Handarbeitsheftchen Penélopé. Auch hier wird mit Kettmaschen gehäkelt.

Noch heute häkeln wir.
Diese Handarbeit wird hoffentlich niemals in Vergessenheit geraten!
Mein historischer Beitrag möge dabei hilfreich sein …

Birgit Luise Bidder

Copyright  – Häkeln eine historische Reise – alle Rechte vorbehalten.
2016- Update 2023


Legende:
1)Gemälde groß oben: A Turkish Woman, von Angelica Kauffmann, 1773,
The Pushkin State Museum of Fine Arts, Moscow.
2)Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/The_Ladies_Waldegrave
Joshua Reynolds 1780-81, The Ladies Waldegrave, National Galleries of Scotland, Edinburgh
3)Quelle:
https://en.wikipedia.org/wiki/Crochet
Diderots Encyclopedia, Shepherds Hook and Penélopé Purse and Pattern
4)
c. 1900 Ecru Irish Crochet Lace Overcoat
Quelle:
https://mypicot.com/irish_crochet_patterns_t01.html
5) Lis Paludan. Crochet:History & Technique
Publisher: Interweave Pr; 1st Printing edition (August 1, 1995)
6)http://crochetvolution.com/archives/spring-2012-archives/crochet-in-history-queen-victoria
7)https://www.irishcentral.com/roots/history/immersive-titanic-production-boat-organized-class
8) https://www.archives.gov/publications/prologue/2012/spring/titanic.html
9) https://www.mak.at/
10) https://www.textilmuseum.ch/
11) https://sammlung.mak.at/sammlung_online?id=collect-19922

 

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